Monatsarchiv: Oktober 2017

[:de]Straßenfeste, Quinceañera und Karaoke[:]

[:de]Juhu, das ist der erste Eintrag in der Kategorie „Freizeit“!

Straßenfeste

Letztes Wochenende waren wir gleich auf zwei Straßenfesten und haben die erste Begegnung mit der bolivianischen Tanz-Kultur gemacht. Samstags war abends ein großer Umzug in Colcapirhua am km 9, also gar nicht weit weg von uns. Mit Pedro, Aracely und ihrer Tochter Wara sind wir gegen 7 los und haben uns erst durch Menschenmassen und unzählige Essensstände gequetscht. Fies, wenn man bedenkt, dass wir noch nichts gegessen hatten und eigentlich noch gar kein Straßenessen essen dürfen und es damit auch später nicht übertreiben sollen – mindestens einen Monat zum „akklimatisieren“ sollten wir einhalten. Aber da gibt es halt auch sooo leckere Sachen! Salchipapa  (gebratene Wurststückchen mit Kartoffeln) Hamburger-Stände oder typisch frittiertes Hühnchen mit Pommeskartoffeln für wenig Geld. Allein die Gerüche! An ein ziemlich hartes süßes Gebäck mit Zuckerglasur hab ich mich dann aber doch gewagt – genehmigt von Aracely. Und dann haben wir uns den Umzug angeschaut (auf Anfrage schicke ich wieder gerne Videos?). Das Ganze ist vergleichbar mit der Fasnet daheim, nur, dass es hier WIRKLICH nur zum Spaß ist ?. Unzählige bunte Menschen sind tanzend, singend und Musik machend an uns vorbeigezogen, das war schon echt toll anzuschauen (Wer an der Musik interessiert ist: Hört euch mal „Señora Chichera“ an, das hat jede zweite Kapelle gespielt!). Jedes Kostüm und jeden Tanz zu beschreiben, würde – mal wieder – den Rahmen sprengen. Am besten hat uns allen aber „Tinku“ gefallen (nicht zu kurze Röcke und rhytmische Musik). Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht zu den Auserwählten gehöre, die sich Tanzschritte einfach so merken, ohne Scheu drauf los tanzen können (außer beim Blödsinn machen) und es dann auch noch gut aussieht. Daher war ich doch ganz froh, dass ich mich den zwei Händen entziehen konnte, die mich mitziehen wollten. Dafür hat es Johanna und Clara erwischt, die sich auf jeden Fall viel besser angestellt haben als ich es gekonnt hätte! Später sind wir dann ein bisschen rumgelaufen und haben ganz gekonnt die durch Alkoholkonsum vermehrten Rufe nach uns „Gringas!“ und „Choquitas!“ an uns abprallen lassen. Pedro hat uns die Kirche in Colcapirhua gezeigt – zugestopft mit Lilien in allen Farben – und wen treffen wir da? Padre Gonzalo, den Ex-Pfarrer aus Cruz Gloriosa, von dem wir zum Essen eingeladen wurden. Aber ganz bolivianisch ohne Datum oder so?. Dann haben wir was gemacht, was ganz typisch für solche Straßenfeste ist: Tischkickern. Für ein kleines bisschen Geld kann man sich ganz viele harte Partien an unzähligen aneinandergereihten Kickern liefern. Und dann gings auch bald wieder brav nach Hause.

Am Sonntag war dann in Uspha-Uspha, am km 9 auf der anderen Seite von Cochabamba, eine Marienprozession der dortigen Gemeinde, die dann in einen Umzug genau wie am Tag zuvor übergegangen ist. Und abends gab es dann noch einen Wettbewerb zwischen den Tanzgruppen. Wir sind morgens mit Hermana Justy hingefahren und haben gemeinsam mit den anderen Schwestern für die Tanzgruppe der Firmlinge gekocht und haben uns dann den Umzug angeschaut – es war echt ziemlich heiß, keine einzige Wolke am Himmel. Ich frage mich, wie die Tänzer das den ganzen Weg ausgehalten haben! Vor allem die Jungs, die in einem gebastelten Stierkörper gesteckt sind. Genau wie bei uns das Rössle, Kili! ? Leider hab ich davon kein Bild.

Quinceañeras

Am nächsten Wochenende waren wir wieder auf einem Straßenfest auch hier in der Nähe – ich habe allerdings den Namen des Stadtteils vergessen, es war irgendwas mit T. Auch mit Tischkickern und Tänzern, aber alles noch einen Tick größer. Und ganz spontan wurden wir dann noch auf einen Quinceaños eingeladen. Hier und in ganz Lateinamerika werden die 15. Geburtstage der Mädchen – sofern finanziell möglich – ganz groß gefeiert. Und schick sollte man sein! Also mussten wir nochmal schnell heim und Jeans, Pulli und Turnschuhe in Kleidchen und Ballerinas umtauschen. Trotzdem waren wir total „underdressed“ wie man so schön sagt – alle Jungs in Anzug und die Mädels ziemlich überwätigend geschminkt und gekleidet?. Was ich aber auch gern sage: „Wir haben eh den Gringa-Bonus!“. Trotzdem muss ich mir vielleicht doch bald mal schickere Ausgeh-Klamotten zulegen… Die ganze Party war DAS Erlebnis des Wochenendes. Mittelpunkt waren die frisch 15-jährigen Zwillinge in Glitzerkrönchen, Tüllträumen in türkis und unglaublich hohen silbernen Schuhen. Die ganze Aufmachung hat mich eher an eine kleine Hochzeit erinnert – Tanz mit Papa und Freund, dreistöckige Torte, passende Deko mit Stuhlüberzügen etc. Auch einen Moderator gab es, der die Leute zum Tanzen aufgefordert hat und allerlei Aktionen angeleitet hat (Einzug der Quinceañeras, Anschneiden der Torte, Übergabe der Geschenke und die „hora loca“ – 5 verkleidete Leute, die nur Blödsinn gemacht haben). Leider ist dann der unausweichliche Moment gekommen, in dem ich dann doch tanzen musste. In zwei langen Reihen, immer Mädchen und Junge gegenüber, habe ich dann alles brav über mich ergehen lassen und am Schluss hat es tatsächlich Spaß gemacht. Sogar ein paar Schritte Tinku und Morenada (ein anderer Tanz) habe ich gelernt, hoffentlich kann ich mich nächstes Mal wieder dran erinnern!

Karaoke

Am nächsten Tag wurden wir von Waras (Tochter unserer Vermieterin Beatriz) Kumpel Pacho zur Karaoke bei ihm daheim in Quillacollo eingeladen. Ein bisschen aufgeregt war ich dann doch, weil ich sonst nur im KJW-Chor ein bisschen im Alt in der Masse untergetaucht bin oder allein im Auto mein Bestes gegeben hab. Deshalb war ich doch beruhigt, als sich herausgestellt hat, dass außer uns, Pacho und Wara nur noch zwei andere da waren, die sich kein einziges Mal getraut haben zu singen. Es waren drei richtig nette und entspannende Stunden, so unter Gleichaltrigen ist das gleich ganz anders! Resultat des Abends: Ich habe ein bisschen an Selbstvertrauen gewonnen und lerne jetzt fleißig Disney-Songs auf Spanisch!

Wie ihr seht, sind wir schon ein bisschen im gesellschaftlichen Leben Boliviens angekommen! Juhu! Zum Glück gibt´s Leute, die uns überall hin mitnehmen. Uns geht es so weit gut (außer einigen gesundheitlichen Ausfällen meinerseits…), der Alltag ist langsam da und in der Arbeit wissen wir wie der Hase läuft (oder auch frei übersetzt nach Clara Schwab: „Sabemos como corre el conejo.“)

 

Liebe Grüße

eure Rahel (, die sich jetzt doch sehr ernsthaft überlegt, hauptberuflich Opernsängerin oder Tänzerin zu werden! Höhö…)

 

Auf der Pasarela nach Colcoapirhua

Kleine Salay-Tänzerinnen

Das ist Tinku!

Caporales-Tänzer mit viel Bling-Bling

Unsere Mini-Karaoke-Party

Passt zwar nicht zum Beitrag, aber die Hunde-Welpen sind einfach sooo flauschig gewesen!

[:]

[:de]Das Visum ist da![:]

[:de]

Vor ein paar Tagen auf der Cancha – super leckeres Kokoseis!

Ein bisschen dunkel, aber so sieht´s in der Migración aus. Wer entdeckt den Bildschirm?

Unsere Visumbelohnung – leckere Alfajores auf der neuen Tischdecke! Der Schonmonat ist vorbei!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es folgen Geschichten von der Visum-Jagd! (Achtung, es wird ausführlich und dramatisch;)! Für alle die nicht viel lesen wollen: Wir haben das Visum, es hat schlussendlich alles geklappt. Einfach zum letzten Abschnitt runtergehen!) 

Gleich am ersten Samstag in Cochabamba werden wir an den Plaza Colón bestellt. Nachdem wir dann nochmal eine halbe Stunde durch die Stadt geirrt sind, sitzen wir mit Carmen und den anderen Cochabamba-Freiwilligen 2 Stunden in einem Kopier-Foto-Mach-Laden rum. Da werden massenhaft Passfotos von jedem geschossen und alle Reisepässe mehrfach kopiert.  

In der darauffolgenden Woche unternehmen wir eine hektische Reise durch Cochabamba, gemeinsam mit einem Herrn, der sich um all unsere Unterlagen gekümmert zu haben schien. Zuerst ging es in ein riesiges Gebäude – so richtig verstanden, wo wir genau sind, hab ich nicht. Bei einer Empfangspolizistendame bekommt jede von uns zwei Zettelchen in die Hand gedrückt. Dann werden wir in einen großen Raum mit vielen anderen Wartenden geführt. Überall hängen große Bildschirme, auf denen genau solche Nummern zu sehen sind, wie wir in der Hand halten. Ab und zu ploppt eine neue Nummer auf und es piepst ganz laut. Jetzt heißt es also warten, bis die persönliche Nummer dran ist und man an allen anderen Menschen vorbeilaufen und an einen der unzähligen Glaskasten mit weiteren Polizistendamen treten muss. Je näher meine Nummer rückt, desto aufgeregter werde ich. Was wollen die Damen denn genau von mir? Was, wenn sie mich nicht verstehen oder ich öffentlich dafür gerügt werde, dass ich nicht alle Dokumente unter meinem Arm zerquetscht mitgebracht habe? Und dann ploppt tatsächlich mit einem lauten Piepsen meine Nummer auf und ich schrecke zusammen. Ich stolpere vorbei an lauter Einheimischen, die mich mit ihren Augen verfolgen, vor zum Glaskasten. Ich werde ein bisschen zu meinen Daten befragt. Eine Frage lautet: „In welcher Stadt wurden sie geboren? (Die Dame deutet auf meinen Pass.) In Deutsch?“ „Nein, in Ravensburg.“ Jetzt bitte nicht laut loslachen. Das System findet Ravensburg nicht. Ich soll ihr das Bundesland, in dem Ravensburg liegt, nennen. Auch Baden-Württemberg kann nicht gefunden werden. Mir bricht der Schweiß aus. Als die Dame mich mit ernster Miene in ihr Glaskästchen bittet, überlege ich, wie ich möglichst schnell aus dem Raum fliehen kann. Alles halb so wild, ich soll ihr nur in ihrem Computer zeigen, wo Baden-Württemberg in einer Bundesländerliste zu finden ist. Ich brauche ewig, bis ich verstehe, dass „mein“ Bundesland im Ausdruck „Bayern-Bad“ mit inbegriffen sein muss. Die Dame schaut mich zögernd an, druckt 5 Blätter aus, von denen sie 3 behält. Auf allen muss ich mehrfach unterschreiben. Nachdem alles Mögliche bestempelt wurde, ich mit einem wirschen Kopfnicken weggeschickt werde, drehe ich mich triumphierend um. Und sehe, dass alle mich anstarren, wieder beeindruckt von meiner wilden Gestik wie beim Trufi-Fahren. Peinlich! Mit dem zweiten Zettelchen läuft es ähnlich ab. Viele Daten, viele Unterschriften und viele Dokumente, die eigentlich genau gleich aussehen. Etwa drei Stunden später – im Nachhinein glaube ich, dass ich mir hier bei hoch aufgedrehter Klimaanlage die Grippe geholt hab – verlassen wir das Gebäude; müde und um mehrere Stapel Papier reicher. In einem vollgestopften Trufi geht es weiter zum Palacio de Justicia. Gleiche Geschichte mit Zettelchen, Warten, Daten und Unterschriften. So langsam fühle ich mich ein bisschen auf den Arm genommen. Am Schluss bekommt jede noch ein Zettelchen, mit dem wir in der darauffolgenden Woche mehr Papier abholen sollen. Aha. Hoffentlich bringt das alles auch was!  

Der nächste große Schritt war die medizinische Untersuchung. Um halb 6 mussten wir aufstehen, durften nichts essen und nicht pinkeln. In Cochabamba haben wir erst mal 500 bs an die Polizei überwiesen für die Untersuchungen. Wieder mussten wir warten – mit voller Blase ist das gar nicht so lustig -, unsere Pässe her zeigen, unterschreiben und dann die Urinprobe abgeben. Einmal um das improviesierte Krankenhäuschen rum war die Blutabnhame bei einer älteren Frau, die „Shape of you“ in Dauerschleife gehört hat und auch sehr überzeugt mitgegrölt hat. An dem Morgen war es noch richtig kalt, ich habe gefroren und mein Kreislauf war auch ziemlich im Eimer, weil ich ja noch nichts gegessen hatte. Dementsprechend hat sich das Blutabnehmen schwieriger gestaltet als gedacht. Nichts hat geholfen; weder Arm abbinden, noch Faustgepumpe, noch aggressives auf meinen Arm Geschlage. Meine Venen sind nicht mal ansatzweise zu sehen gewesen. Genervt ist die Dame davongerauscht und 10 Minuten später mit unterschiedlichen Utensilien wiedergekommen. Mir wurde ein Loch in den Finger gepiekst und dann gewaltsam das Blut rausgequetscht und auf verschiedene Plättchen und Tests verteilt. Und dann musste noch ein Glasröhrchen gefüllt werden. Die Dame, inzwischen schon ziemlich gereizt, stochert mit dem Röhrchen in meinem Finger rum. Aua! Nächste Station Röntgen. Ohne jeglichen Schutz nur in Unterhose und einem schicken blauen Überzug durften wir uns einmal durchleuchten lassen. Und dann noch eine Art Verhör. Passnummer, Wohnort, Geburtsdatum. Nehmen sie Medikamente? Nein. (Die paar Ibu lass ich mal außen vor…) Waren sie jemals schwanger? Ja, meine 5 Kinder warten daheim?. Dann noch ein bisschen Abhören, Rumdrücken und Husten. Und das war´s. Mit dem Taxi ging es weiter zur „Migración“, wo wir ein Blatt mit interessanten Angaben (genaue Kontostände, wen bitte hat das zu interesssieren?!) abgegeben haben, das wir am Tag zuvor noch spontan ausfüllen und ausdrucken mussten. Außer einer Notbanane immer noch nüchtern haben wir uns dann gegen 13 Uhr das nächst Beste zu essen geholt.Man, war das toll:) 

Etwa eine Woche später wurden wir auf halb 2 zur Migración bestellt. Alles gar kein Problem, dachten wir, da können wir morgens ja noch ins Projekt, kurz heim was essen und dann mit dem Trufi in die Stadt fahren. Denkste! Früh morgen an besagtem Tag ruft Carmen an und sagt, es gibt „bloqueos“ (Straßensperren, veranstaltet von Interessensgruppen, die so versuchen, ihre Forderungen zu „erpressen“). Der Kilometer 11 sei auf jeden Fall komplett gesperrt, wir würden wahrscheinlich nicht in die Stadt kommen und sie weiß nicht, ob die Sperren sich ausbreiten und wie lang sie dauern. Da geht einem natürlich erst Mal die Drüse. Ich hab mir das so spektakulär vorgestellt wie in „También la lluvia“, der Film, der uns durch den Spanischunterricht in der Oberstufe begleitet hat („Estáis en pecado mortal!“ fällt mir da grad wieder ein?). In Panik haben wir dann gefragt, was wir genau machen sollen: Um 11 mit genug Zeitpuffer mit dem Taxi losfahren. Dann haben wir in Piñami abgesagt und den Verkehr vor unserem Haus beobachtet; da die Hauptstraße gesperrt war, sind alle auf die Nebenstraßen ausgewichen, hier war also richtig was los. Pünktlich um 11 sind wir an den Haltepunkt vom Taxi-Unternehmen unseres Vertrauens „Campestre“ direkt in unserer Straße gegangen und haben dem Fahrer versucht zu erklären wo wir hin wollen. Gespannt, wie er jetzt genau die bloqueos umfährt, sind wir eingestiegen. Und was macht er? Fährt einfach ganz normal auf die Avenida! Und da war nichts los! Völlig unspektakulär, wahrscheinlich hätten wir für ein Zehntel des Geldes den Weg nach Cochabamba zurücklegen können. Naja, so ging es wenigstens schnell und wir mussten nicht viel laufen. Ein kleines bisschen enttäuscht haben wir dann 2 Stunden zu früh vor der Migración gewartet. Irgendwann kam dann auch Carmen (die morgens übrigens wegen den bloqueos um 5 aufgestanden ist und fast zu spät zu einer Klausur gekommen ist) mit 4 riesigen Stapeln Papier für Tabea aus Independencia und uns drei mit zugehörigen Röntgenbildern von der Untersuchung. Und die Bluttest-Ergebnisse: Ich bin gesund und weiß jetzt meine Blutgruppe?. Die arme Carmen muss echt Stress gehabt haben. Da waren Dokumente in meiner Mappe, die ich noch nie gesehen habe, sie muss also noch viel rumgerannt sein! Nach ein bisschen Rumgedrängel vor dem Gebäude sind wir dann ins Gebäude und mussten alle Papiere vorzeigen – wieder mit Zettelchen und Bildschirm. Ich habe wohl den nettesten Beamten erwischt. Carmen meinte im Nachhinein, dass er der „Experte“ sei. Es gab gar keine Probleme, wir haben eigentlich mehr getratscht und er war echt ziemlich lustig. Bei den andern ging alles doppelt so lang, sie mussten komische Fragen beantworten und Johannas Beamter hat irgendwas falsch eingetragen. Dann wurden unsere Fingerabdrücke eingescannt, wunderschöne Spontanfotos gemacht („Setz deine Brille ab!“-ZACK!-wirklich sehenswert…) und wir haben unser vorletztes Zettelchen bekommen, mit dem wir in der darauffolgenden Woche unser Visum abholen können! Juhu!  

Mittwochmittag, 11. September, sind wir dann mal wieder an die Migración gefahren – eine der Trufistrecken, die ich jetzt dann komplett auswendig kenne – und haben uns unser hoffentlich letztes Zettelchen abgeholt. Ich habe mich wieder fieberhaft auf die Bildschirme konzentriert (Haha, Wortwitz, ich hab tatsächlich schon wieder Fieber, doofe bolivianische Viren oder Bakterien oder so!). Als ich (5T war diesmal meine Nummer) dran war, ging es diesmal ganz schnell, ein paar Unterschriften später hatte ich dann meinen Pass mit eingeklebtem Visum drin! Und mal wieder ein paar Blätter mehr. Es ist also tatsächlich vollbracht!!! Eventuell brauchen wir doch noch ein „carnet“, so ein Kärtchen in Richtung Perso glaube ich. Aber das scheint schon beantragt worden zu sein, wir müssen nur Geld überweisen und es dann abholen.  

So, genug erzählt. Ich bin auf jeden Fall froh, dass alles geklappt hat und wir wirklich hierbleiben dürfen!  

Liebe Grüße von der jetzt ganz legalen 

Rahel 

 [:]

[:de]Wo wir wohnen & unsere Arbeit in Piñami[:]

[:de]Dank der Kirche neben unserer Wohnung werde ich jeden Tag um halb 7 von sehr lautem, schrillem und lang andauerndem Lautsprecher-Glockengeläut aufgeweckt. Das Gute daran ist, dass ich vor dem Aufstehen Zeit finde, euch ein paar Neuigkeiten zu erzählen!

Nach einigem Hin und Her, vielen Gesprächen und einigen Besichtigungen haben wir uns nun entschieden: Wir bleiben im Kolping-Haus wohnen! Auf dem Gelände gibt es eine Art Kindergarten, einen großen Wäsche-Wasch-Platz (den hab ich schon ganze zwei Mal genutzt!) und zwei Wohnhäuser mit jeweils 6 Wohnungen. Hier wohnen Beatriz, die Chefin hier und unsere Vermieterin, der Hausmeister mit Frau und sehr süßem Kind und die bereits erwähnten Hunde. Außerdem können hier Frauen mit ihren Kindern Schutz finden, die daheim von ihrem Mann schlecht behandelt wurden (um es nett zu formulieren). Letzten Freitag, als wir von Piñami zurückgekommen sind, stand ein Polizeiauto vor der Tür. Eine Frau mit zwei kleinen Kindern und vielen bis zum Rand gefüllten Taschen wurde von zwei Polizistinnen hier her begleitet. Es hat ziemlich lange gedauert, bis es in meinem Kopf KLICK! gemacht hat. So richtig Kontakt hatten wir mit den Frauen aber noch nicht; meist nur ein kurzes gestresstes Hallo auf dem Gang oder als wir bei einer jungen Frau und ihrer Tochter am Pizzastand vor dem Haus unser Abendessen bestellt haben. Die meisten Wohnungen stehen aber leer, wir nehmen also niemandem den Platz weg! Jetzt, da eine Entscheidung getroffen wurde, bin ich sehr froh, weil wir uns wirklich einleben können und nicht darauf vorbereitet sein müssen, dass wir bald umziehen. Viele Bilder sind schon am Schrank neben meinem Bett aufgeklebt, wir haben den ersten Groß-Putz hinter uns und auch die meisten wichtigen Einrichtungsgegenstände und Küchengeräte sind besorgt -seit gestern sind wir stolze Besitzer eines Mixers; super zum Suppen, Säfte und Bananenmilch machen und mal wieder sehr „económico“ (preiswert)! Auch sonst haben wir alles was man braucht: Küche mit Gasherd und Kühlschrank, Bad mit Dusche und Mülleimer fürs Klopapier (das verstopft sonst die Rohre), ein einzelnes Schlafzimmer – Johannas große Errungenschaft, und eine Art Wohnraum mit nochmal zwei Betten. Also recht eng, aber trotzdem genug! So, und jetzt noch was Lustiges (hat mir Carmen Sonntagabend beim gemeinsamen Essen erzählt): Vor ein paar Monaten, als José Luis und Carmen über mögliche Wohnungen für uns diskutiert haben, ist kurz Panik ausgebrochen. Auf der Liste mit den Namen haben sie meinen entdeckt und dachten, ich sei ein Junge. Bei „gemischten“ Freiwilligen hätte man dann ja unterschiedliche Räume gebraucht und das ist ja auch nicht förderlich für die Gemeinschaft. Nach einigen schlaflosen Nächten hätte dann ein panischer Anruf nach Deutschland alles geklärt – mich würde interessieren wer ihn entgegen genommen hat und ob dieser Jemand auch so gelacht hat wie ich 🙂 .

Jetzt kommt endlich auch mal was zu unserer Arbeit. Den größten Teil der Woche – (vorraussichtlich)  Dienstag, Mittwoch und Freitag – verbringen wir in der Hausaufgabenhilfe (apoyo escolar) in Piñami. Von Kolping laufen wir ca. 20 Minuten und werden jedes Mal geschockt gefragt, ob wir WIRKLICH gelaufen sind – hier wird nämlich jede Ecke mit dem Trufi gefahren. Das Gelände ist am Ende einer langen Straße, die gerade betoniert wird. Es gibt eine Küche, im unteren Stock wird gegessen und dort machen auch die „Großen“ ihre Aufgaben. Im oberen Stock sind die Kleinen, und Aracely, die Leiterin, macht da ihre Büroarbeiten. Außerdem gibt es noch eine kleine Krankenstation, da helfen wir leider nicht mit, weil sie nicht direkt zum Projekt gehört. An das Gebäude ist die Kapelle von Piñami angebaut. Daneben gibt es einen betonierten Fußballplatz. Wir fangen jeden Morgen um halb 10 an und helfen Ingrid, zuständig für die Kleinen, und einigen Müttern – einmal im Monat sollte eine Mama, deren Kind im Projekt versorgt wird, morgens mithelfen – mit den Vorbereitungen. Also Gemüse schnibbeln (Danke an Jonas, einen Vorfreiwlligen, der dem Projekt einen Kartoffelschäler vermacht hat!), Tische herrichten und Gebäck für den Nachtisch um 5 herstellen – die Empanadas waren bis jetzt meine Favoriten. Ein bisschen vom Gebäck wird abgezwackt und mit Kaffee oder Kaba gibt´s dann noch ein kleines Frühstück für alle Frauen. Danach helfen wir Aracely und Ingrid, Aufgaben für mittags rauszusuchen. Gegen 1 kommen dann meistens erst die Kinder aus dem „kinder“ (Kindergarten), später die Schulkinder. Nachdem alle „überwacht“ von Lorena, einer Praktikantin, ihre Hände gewaschen haben, gibt es Essen. Ganz oft Suppe mit Gemüse, Hühnchenfleisch und wirklich echten Hühnerfüßen – bis jetzt konnte ich davor drücken, Clara hat neulich einen abgeknabbert. Vorher wird aber noch gebetet. Nachdem gespült ist, geht es gegen halb 3 an die Aufgaben. Die Kindergartenkinder und 1.-3. Klässler gehen mit Ingrid nach oben, die anderen bleiben unten. Zuerst bekommt jeder ein Aufgabenblatt vom Projekt, danach müssen die Hausaufgaben gemacht werden. So einige Aufgaben aus der Schule sind ziemlich fragwürdig. Jede Zahl von 1-100 eine Seite lang wiederholen, Zahlen in Viererschritten bis 1000 aufschreiben, unzählige Blätter einfach nur ausmalen. Erklären ist auch oft sehr schwer, da unser Schulsystem von Grund auf verschieden ist und wir früher Dinge ganz anders erklärt bekommen haben. Wie kann ich einem Kind erklären, wie man richtig ein „U“ schreibt? Nach dem gemeinsam schreiben, vormalen und „von oben nach unten und wieder nach oben“ rein gar nichts gebracht haben, war ich recht hilflos. Mit den Kleineren mache ich manchmal an einer Tafel die Vokale oder die ersten Zahlen durch. Sonst kontrollieren wir viel oder versuchen, sinnlose Streits über Stifte oder Spitzer zu schlichten. Ein Satz, der häufig gegrölt wird ist „Hermanaaa, *Name* está molestandoooo!“. Auf die Frage, wie der Beschuldigte denn genau nervt oder stört, weiß dann aber niemand eine Antwort… Unten bei den Großen läuft es ähnlich ab. Der Stoff ist natürlich schwerer – wenn wir heimkommen, übe ich mich zur Zeit im schriftlich Dividieren -, aber oft machen vor allem die Coolen lieber Blödsinn anstatt zu lernen. Im Moment kann man sich auch super über uns lustig machen, weil wir dank der Sprache noch nicht wirklich schlagfertig sind. Auch sehr interessant ist, dass viele Kinder daheim nur Quechua sprechen und erst in der Schule Spanisch lernen, viele 7.-Klässler machen noch sehr einfache Textverständnisübungen. Oder manche Kleinen erzählen mir engagiert Geschichten, die ich einfach nicht verstehe. Zuerst dachte ich „Oh je, mein Spanisch ist ja total schrecklich!“. Wenn ich dann aber sage, dass es mir leid tut und ich leider kein Quechua spreche, sind sie immer sehr enttäuscht. Nach dem Erledigen der Aufgaben dürfen die Kinder spielen. Es gibt viele Puzzle, Brettspiele und Legos. Ich will ja nichts sagen, aber meine künstlerischen Lego-Fähigkeiten steigen bereits ins Exorbitante! Gegen 5 wird aufgeräumt, gefegt und wer raus will, muss sich erst von Ingrid eine Rechenaufgabe stellen lassen und beantworten. Unten wird nicht gespielt, sondern gelernt. Dann gibt es den oben genannten Nachtisch und um halb 6 gehen alle nach Hause. Da einige Familien den monatlichen Betrag von 30 bs im Monat nicht aufbringen können, sind einige Kinder kostenlos dabei. Diese Woche werden jeden Abend diese Familien besucht um zu schauen, ob alles okay ist. Wir laufen also mit den Kindern ihren Schulweg nach Hause. Das ist sehr beeindruckend; man kommt in ganz andere Gegenden als einem sonst „vorgezeigt“ werden. Manche Kinder sind am Tag bestimmt 4 Stunden mit Schul-Piñami-Heimweg beschäftigt.

Was mir an Piñami sehr gut gefällt, ist natürlich erst einmal, dass die Kinder etwas zu essen bekommen, was daheim vielleicht nicht der Fall wäre, da die Eltern meist lang arbeiten. Außerdem werden viele wichtige Werte vermittelt: Hygiene durch das Händewaschen, Einhalten von Regeln durch einen klaren Tagesablauf und Zusammenhalt – ein Tisch wird immer ausgewählt zum Fegen oder Spülen. Auch die schulische Unterstützung ist extrem wichtig. Viele Kinder wissen gar nicht, wie sie die Aufgaben lösen sollten; daheim würden sie sie einfach nicht machen. Außerdem wird jedes Kind einfach angenommen – es gibt zum Beispiel zwei taubstumme Schüler. Natürlich ist die Kommunikation sehr schwer, aber alle bemühen sich. So lerne ich nicht nur ein paar Brocken Quechua und schriftlich Dividieren, sondern auch ein paar Buchstaben Gebärdensprache, um wenigstens ein klein wenig erklären zu können. Mit Händen und Füßen klappt das aber ganz okay. Der Abschnitt hat sich jetzt so angehört als müsste ich das schreiben, ist aber nicht so. Ich finde das Projekt wirklich gut und sinnvoll!

Ein zwei Mal waren wir auch schon in Uspha-Uspha, dem anderen Projekt, allerdings sind wir uns noch nicht so sicher, ob das ganze so sinnvoll ist… Darüber müssen wir nochmal mit unserem „equipo“ sprechen. Sobald darüber Klarheit herrscht, gibt es ein Update!

Und für Bilder hat mein Internet heute leider nicht gereicht, die kommen aber auch bald!

Liebe Grüße von eurer Öko-Tante (so fühle ich mich immer, wenn ich beim Einkaufen meine gute Tasche herreiche, damit nicht jede Gurke einzeln in Plastiktüten verpackt werden muss!)

Rahel[:]