[:de]Todos Santos in Independencia[:]

[:de]Letzten Mittwoch haben wir uns mit den anderen Freiwilligen aus Cochabamba zu siebt für ein paar freie Tage auf den Weg nach Independencia gemacht. Nach 6 Stunden Busfahrt über holprige Straßen und Berge – geprägt von Aufs-Klo-Müssen, Hardcore-Pinkeln auf einer komplett freien Fläche und drei kleinen sich übergebenden Kindern (eine davon „unsere“ kleine Laura) – hatten wir dann einen sehr schönen Blick auf das von ein paar Lichtern erhellte Independencia. Abgeholt wurden wir von Tabea, die dort gemeinsam mit Sofia im Centro Social, einem Internat, wohnt und in der Schule und im Kindergarten arbeitet. Das Erste, was mir aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass die beiden nach dem Jahr die Mords-Waden haben werden. Der Weg vom „Zentrum“ des Dorfes hoch ins Centro ist zwar nicht weit, dafür aber unglaublich steil. Mit dem großen Rucksack, in dem Clara, Johanna und mein Gepäck drin war, war der Anstieg gar nicht so einfach – hier in Cochabamba ist ja alles flach und ich bin immer schon nach ein paar Treppen geschafft.

Dann kam die nächste Überraschung: Der Nachtpförtner des Geländes hat uns eröffnet, dass wir es vermeiden sollten, nach 22.30 unser Zimmer zu verlassen und wenn, dann nur mit einer Flasche Wasser. Da werden nämlich die vier scharfen Schäferhunde losgelassen, die übrigens vor ein paar Wochen nachts eine Katze umgebracht haben. Da hat mein Hunde liebendes Herz erst mal einen großen Hüpfer gemacht. Aber nicht aus Freude. Und ich habe direkt unsere überschwänglichen und nervigen, aber halt netten Haushunde vermisst! Das ist echt doof, wenn man nachts aufwacht, weil man eigentlich aufs Klo müsste, aber zuerst eine halbe Stunde wach rumliegt und mit sich selber ringt, ob es jetzt schon so dringend ist, dass man sich der Gefahr draußen stellen muss. Und dann aufsteht, die Tür öffnet und rausspitzt ob grad einer in der Nähe ist und ganz schnell aufs stille Örtchen rennt – bewaffnet mit einer zwei Liter Wasserflasche, man weiß ja nie – und dann auch noch wieder zurück muss! Es geht recht viel um Urin, Entschuldigung! Mir ist zum Glück nie was passiert und ich musste auch das Wasser nicht anwenden!

Das Centro Social wird von Schwestern geführt, eine von ihnen Schwester Verena – der Name sagt vielleicht einigen was. Wir wurden total herzlich begrüßt, haben jeden Tag drei Mal richtig tolles Essen bekommen und mussten danach nicht mal spülen! Nach der ersten Nacht war dann ja „Día de los Difuntos“, in Deutschland Allerseelen. Und bestimmt kennt ihr die Bräuche, zumindest aus Mexiko. So groß war das in Inde – so sagt man das, wenn man cool ist ?- natürlich nicht. Gegen Mittag sind wir los auf den Friedhof und haben uns mit anderen Freiwilligen getroffen: Desiree und Jonas, Freiwillige vom BKHW, die auch in Inde wohnen und arbeiten, hatten Besuch von ihren „Kollegen“ aus La Paz – ein paar von ihnen haben wir schon beim Ankommensseminar in Santa Cruz kennengelernt. Nach und nach sind wir dann ins Geschehen auf dem Friedhof eingetaucht. Jede Familie, die einen Angehörigen verloren hat, muss die ersten drei Jahre nach dessen Tod an oder auf seinem Grab am Día de los Difuntos allerlei leckere Sachen parat haben: Tanta Wawas (so heißt das auf Quechua), Gebäckstücke in allerhand Formen und Geschmäckern (Clara behauptet, ein Brot in Form eines Lamafötus ergattert zu haben), Früchte, Figürchen aus Zucker, Dinge, die der Verstorbene mochte und ganz wichtig: Chicha – Maisbier, säuerlich, bisschen bitter, erinnert mich an Most – das in kleinen Schälchen gereicht wird, in das 4-5 große Schlücke (von mir) reinpassen. Gegen Gebete für den Verstorbenen gibt es dann am Grab ordentlich von den oben genannten Leckereien. Und Chicha, auch davon nicht zu knapp – Ablehnen war nicht. Und die Sonne hat erbärmlich runtergebrutzelt. Hätten wir (unser Grüppchen bestand aus Clara, Johanna, Sofia und mir) nach anderthalb Stunden nicht aufgehört, hätten wir am Ende des Tages statt einer großen Tüte fünf, ordentlich Einen hocken und noch schmerzhafteren Sonnenbrand gehabt. Das spanische Vater Unser und Ave Maria läuft jetzt aber wie geschmiert. Wir hatten auf jeden Fall richtig Spaß – so was würde ich von einem Friedhofsbesuch daheim jetzt nicht behaupten! Und dass ein deutsches Vater Unser so viel Eindruck machen kann, hätte ich auch nie erwartet?. Vielleicht haben wir auch nur deswegen so viel Chicha bekommen, wer weiß… Abends sind wir mit den anderen Freiwilligen ein bisschen den Berg hochgelaufen, haben ein Lagerfeuer gemacht und einen Geburtstag nachgefeiert. Eigentlich pünktlich vor den Hunden sind wir zurückgekommen. Als wir dann beim Zähne putzen standen, kam der Pförtner mit einem riesen Stock vorbei. Auf meine Frage, ob wir vielleicht noch 5 Minuten Zeit haben können, meinte er nur wir sollen uns halt beeilen, er lässt die Zuckerschnäuzchen (das war ich…) jetzt raus. Ob meine Zähnchen richtig sauber geworden sind, weiß ich nicht…

Am Freitag wollten wir dann eine kleine, beschauliche Wanderung zu einem Wasserfall in der Nähe mit unserer Mentorin Carmen machen. Ihre Eltern wohnen in Inde und sie ist einen Tag nach uns angekommen. Sie meinte, das wäre was ganz Gemütliches, je eine Stunde für den Hin- und Rückweg. Da kann man natürlich locker erst nach dem Mittagessen losgehen! Begleitet wurden wir übrigens von Nina und ihrem Freund, die vor genau 7 Jahren Freiwillige hier war. Ganz komisch, mir jetzt vorzustellen, dass ich auch mal wieder irgendwann her kommen werde, aber gar nicht mehr so richtig „drin“ sein werde! Zurück zur Wanderung. Ich mach´s jetzt einfach mal kurz: Wir waren über 6 Stunden unterwegs, sind eigentlich geklettert und mehrmals fast gestorben. Dem Fluss entlang ging es über gefühlt senkrechte Felsen, Höhlen, allein unüberquerbare Steine und auf dem Zurück an einem steilen Abgrund ohne erkennbaren Weg entlang. Und das alles ohne viel Kletterkenntnis oder Sicherung und mit einer Dreijährigen. Und der größte Witz an der Geschichte war: Da es ja grad Sommer wird und die Regenzeit schon lang vorbei ist, war der Wasserfall kein „Fall“ sondern zwei Mini-Rinnsale – wir haben nicht mal ein Foto gemacht. Man kann sich vorstellen, dass wir nach dieser (Nahtod-) Erfahrung unendlich glücklich waren, als wir dann das erste Mal wieder auf befestigtem Boden, genauer gesagt auf einer Kuhweide, standen. Diese Erleichterung drückt sich besonders in Claras Ausruf aus: „Also wenn ich Raucher wäre, würde ich mir jetzt sofort eine anstecken!“ Zum Glück hat man uns im Centro das Essen aufgehoben.

Am nächsten Tag haben wir nicht mehr viel gemacht – danke Herr Muskelkater. Nur im „Living“ waren wir abends noch. Das ist ein Raum, in dem ein paar Sofas und Sessel stehen und sich dann die Schwestern und alle, die sonst grade noch Zeit haben, zusammen hinsetzen, Teechen trinken, Kuchen essen, schwätzen und stricken. Das hat mir nochmal richtig gut gefallen, da fühlt man sich wirklich gleich wie daheim. Vor allem weil wir am Anfang noch allein mit Schwester Verena waren, die ja aus Deutschland kommt, und sie ganz viel erzählt hat. Gegen ihre 49 Jahre sind unsere (fast) 2 Monate hier eben gar nix! Nachts um 3 ging es dann leider wieder nach Hause, aber ich muss auf jeden Fall noch ein paar Mal zurück, um mehr von der Umgebung zu sehen (aber bitte ohne Todesangst! ?) oder um einfach mal nur gute Luft abzukriegen! Die Landschaft ist echt der Hammer und ich habe die verhältnismäßig ruhigen Tage ohne Handy und Arbeit total genossen.

Uns geht´s – wie immer – gut! Alle sind jetzt hoffentlich mal für längere Zeit gesund.

Mit dem Schwätzen läuft´s auch immer besser, im apoyo muss ich schon fast nicht mehr nachdenken. „Was/wo ist deine Hausaufgabe?“, „Das ist jetzt leider überhaupt nicht richtig.“ und „Moises, bitte mach jetzt sofort deine Hemdknöpfe wieder zu!“ hab ich schon im Schlaf drauf.

Und am Wochenende ist ein Theaterfestival in Cochabamba, da freu ich mich sehr drauf. Und was macht Deutschland so?

 

Sonnige Grüße von

Rahel

Independencia von (fast) oben

Einer von vielen Ausblicken

Ein ganz besonders schönes Grab – Foto machen war erlaubt!

Mitten bei der Wanderung – der Schein trügt!

Ovejitas mit Hüterin auf der Hinfahrt

Geschafft! Foto auf der Kuhweide

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